Saturday, January 31, 2009

richtig lasst es passieren

"Was gerade vor sich geht, ist unvorstellbar"

Harvard-Professor Kenneth Rogoff ist kein Fan der Bad Bank, er fordert radikalere Maßnahmen: Die Verstaatlichung von Banken. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt der ehemalige IWF-Chefvolkswirt die Vorteile eines "kontrollierten Konkurses" - und warum sich Europa schneller erholen wird als die USA.

SPIEGEL ONLINE : Herr Rogoff, mit Blick auf die US-Banken macht auf dem Weltwirtschaftsforum schon ein beängstigendes Wort die Runde: Verstaatlichung. Ist das Panikmache?

Podium in Davos: "Europa könnte gestärkt aus dieser Krise hervorgehen"
DPA

Podium in Davos: "Europa könnte gestärkt aus dieser Krise hervorgehen"
Rogoff: Nein. Ich glaube, dass es dazu keine saubere Alternative gibt im Moment. Jede Bank, die Hunderte Milliarden Dollar an Staatsgeldern braucht, sollte besser verstaatlicht werden. Man sollte sie restrukturieren und dann den guten Teil schnellstmöglich reprivatisieren. Dieses Vorgehen ist wahrscheinlich bei mehreren großen Banken nötig.

Das Ziel ist nicht die Schaffung von Staatsbanken. Es geht eigentlich um ein Konkursverfahren, das der Staat komplett kontrolliert. In akademischen Zirkeln gibt es auch Vorschläge, bereits bestehende Insolvenzverfahren zu nutzen. Aber das würde fünf Jahre dauern. Das ist zu lange.

SPIEGEL ONLINE: Wie genau würde Ihre Methode aussehen?

Rogoff: Die Anteilseigner der Banken müssten ihre Anteile abgeben…

SPIEGEL ONLINE: …mit oder ohne Entschädigung?

Rogoff: Ohne. Die Top-Player im Management würden gefeuert. Und die Halter von Anleihepapieren würden ein Teil ihres Geldes in Form von Anteilen an dem neuen Institut zurückerhalten - die sie bekommen würden, wenn die Bank wieder privatisiert ist. Wie gesagt: Es ist wichtig, die Banken schnell wieder in private Hände zu geben. Wir sprechen vielleicht nur über Monate, oder über ein bis zwei Jahre.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem klingt das sehr drastisch: Sie wollen die Banken bankrott gehen lassen.

ZUR PERSON
AP
Der amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff, 55, lehrt seit 1999 als Professor in Harvard. Von 2001 bis 2003 war er Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Rogoff: Was ich fordere, ist nicht radikal. Ich würde sogar sagen, dass die Forderung nach solchen Konkursen inzwischen common sense unter Wissenschaftlern ist. Ich weiß, das klingt unvorstellbar. Aber das, was gerade vor sich geht, ist unvorstellbar.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem berichtet das "Wall Street Journal", die Obama-Administration wolle es vorerst mit einem neuen Rettungspaket für die Banken versuchen – unter anderem solle eine sogenannte Bad Bank geschaffen werden, die den Geldinstituten ihre Giftpapiere vorläufig abkauft. Reicht das nicht als erster Schritt?

Rogoff: Mit einer Bad Bank würde man den Banken Tonnen an Steuergeld schenken. Vielleicht 700 oder 800 Milliarden Dollar. Das Problem ist: Das Loch im Finanzsystem ist viel größer. Wenn davon aber nur ein Teil aufgefüllt wird, werden die Banken nicht anfangen, wieder Geld zu verleihen. Zumindest nicht genug. Und darum geht es: Derzeit haben kleine und mittlere Unternehmen große Schwierigkeiten, Geld aufzutreiben.

BAD BANK - NOTANKER FÜR DEN WEG AUS DER KRISE
Die Idee
Die Bad Bank übernimmt ausfallgefährdete Geldanlagen - zum Beispiel Kredite oder Derivate - von einer oder mehreren Banken. Anschließend sorgt sie dafür, dass die auch gern als Gift-Assets bezeichneten Anlagen noch so viel wie möglich am Markt abwerfen. Die Banken können auf diese Weise ihre Bilanzen um die schwer berechenbaren Belastungen bereinigen und so das Vertrauen des Kapitalmarkts zurückgewinnen. Die Befürworter einer Bad Bank hoffen, so auch den eingefrorenen Interbankenmarkt für Kredite wieder in Fahrt zu bringen.
Beispiel Schweden
Eine Bad Bank kann durchaus segensreiche Wirkung entfalten, das zeigt das Beispiel Schwedens zu Anfang der neunziger Jahre. Damals löste ebenfalls das Platzen einer Immobilienblase eine massive Bankenkrise in dem Land aus. Die Regierung garantierte daraufhin alle Einlagen der Banken, pumpte Milliarden in die Institute - und sie gründete für die zwei größten Krisenfälle Auffanggesellschaften für problematische Kredite und Hypotheken: die Securum.

Das Institut gilt heute noch als Musterbeispiel einer Bad Bank. Zwar musste der Staat den Verwerter mit Milliarden an Kapital ausstatten, doch Securum-Chef Jan Kvarnström gelang es, einen guten Teil über die Abwicklung der Assets wieder hereinzuholen. So verhinderte er etwa die Zwangsversteigerung von mehr als tausend beliehenen Immobilien im In- und Ausland. Teils wurden riskante Kreditpakete und Anlagen auch schlicht noch zu beachtlichen Preisen an Finanzinvestoren verkauft. Die bauten ebenfalls darauf, dass der Marktwert der Ramsch-Assets eines Tages wieder steigen und somit für guten Gewinn sorgen würde.
Beispiel Deutschland
Die Volks- und Raiffeisenbanken gründeten schon Anfang der achtziger Jahre ihre eigene Abwicklungsbank, als die nordrhein-westfälische Hammer Bank in Schwierigkeiten geriet. Die BAG Bankaktiengesellschaft besteht noch heute. "Ihr Partner für Problemkredite!" wirbt sie auf ihrer Internet-Seite. Die Dresdner Bank baute 2003 die "Institutional Restructuring Unit" auf für Risikokredite in Höhe von 35,5 Milliarden Euro. Die Führung der IRU übernahm niemand anders als der einstige Securum-Chef Kvarnström.
Rezept für aktuelle Krise?
Angesichts ausfallgefährdeter Kredite im Wert von mehreren hundert Milliarden Dollar werden die Forderungen nach einer Bad Bank in der aktuellen Finanzkrise immer lauter. Doch Fachleute bezweifeln, ob eine Bad Bank in der derzeitigen Lage noch etwas ausrichten kann.

Das dafür notwendige Kapital würde selbst bei vorsichtigen Schätzungen jeden Rahmen sprengen. Außerdem beschränkt sich die Krise nicht auf einen oder wenige Volkswirtschaften. Sie hat sich vielmehr zu einem weltweiten Flächenband entwickelt. Finanzkräftige und risikobereite Investoren, die einer Bad Bank die notleidenden Anlagen abkaufen könnten, sind deshalb kaum zu finden.

Es ist also zu befürchten, dass die Abwicklung deutlich schleppender verlaufen wird, als bei den früheren Beispielen. Hinzu kommt, dass in der derzeitigen Lage der Wert der einzelnen Papiere praktisch nicht zu ermitteln ist.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie denn, dass Barack Obama tatsächlich derart drastisch vorgehen wird, wie Sie das fordern?

Rogoff: Ich hoffe, dass Obama das Richtige tun wird. Bislang war ich immer optimistisch, habe immer gesagt, das Obama-Team verstehe die Lage und werde entschieden vorgehen. Und dass wir dann – nicht schnell, aber mit der Zeit – den Anfang vom Ende dieser Krise sehen würden. Die Wirtschaftsexperten in Obamas Team sind großartig. Ich bin sicher: Viele raten ihm, entschlossen vorzugehen. Aber ich bin sehr nervös, ob die neue Regierung nicht kalte Füße bekommt. Wir werden sehen.

SPIEGEL ONLINE: An einer Stelle hat Obama doch schon Entschlossenheit demonstriert: Er hat ein 820 Milliarden-Dollar schweres Rettungspaket für die Wirtschaft aufgelegt. Wird das nicht helfen?

Rogoff: Diese Paket ist eine gute Idee und ein Teil der Lösung. Aber das Hauptproblem ist das Finanzsystem. Es gibt keinen Kredit. Das Konjunkturpaket wird deshalb nicht genug sein.

MEHR ÜBER...
Kenneth Rogoff IWF Finanzkrise G20 Barack Obama Rezession Bad Bank
zu SPIEGEL WISSEN
SPIEGEL ONLINE: Sollte Obama Ihre Forderungen umsetzen und die Banken verstaatlichen– wie lange wird es dauern, bis die USA die Krise überwunden haben?

Rogoff: Ein starkes Wachstum werden wir in den USA erst einmal nicht sehen. Wir haben ja nicht nur die Finanzkrise. Die neue Regierung will mehr Einkommensgerechtigkeit, sie will den Umweltschutz verbessern und das Gesundheitssystem. Das sind großartige Ideen. Aber sie sind teuer. Es wird sicher eine Dekade dauern, bis das bewältigt ist. Ich glaube, Europa wird sich schneller erholen als die USA.

SPIEGEL ONLINE: Geht das überhaupt? Sind wir nicht viel zu abhängig von den USA?

Rogoff: Natürlich bestehen Abhängigkeiten, Europa ist ja ebenfalls in der Rezession. Aber Eure Probleme sind nicht so tiefgreifend wie unsere. Sicher: Euer Finanzsystem hat auch viele Probleme. Aber die USA müssen alles von Grund auf neu überdenken.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, diese Krise wird zu einer dauerhaften Verschiebung der ökonomischen Machtverhältnisse auf der Welt führen?

Rogoff: Es gibt keinen Zweifel, dass die ökonomische Bedeutung der USA geringer sein wird. Europa dagegen könnte gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Allerdings nur, wenn den europäischen Regierungen ein gutes Krisenmanagement gelingt.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben sich die Europäischen Regierungen Ihrer Meinung nach bislang geschlagen?

Rogoff: So weit, so gut. Aber wenn die Rezession noch schlimmer wird, wird sich herausstellen, wie gut die europäischen Regierungen kooperieren. Denn Ihr braucht ein gemeinschaftliches Vorgehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie mahnen auch immer wieder eine globale Regulierung der Finanzmärkte an. Aber mal ehrlich: Glauben Sie wirklich, dass die G20 ihre Ankündigung wahrmachen können und im April gemeinsame Regeln für das Weltfinanzsystem finden?

Rogoff: Im April nicht. Natürlich ist noch viel Zeit bis dahin. Aber die G20 sind kein funktionierendes Forum. Sie sind das beste, was wir haben. Aber trotzdem zu chaotisch. Und die Schweiz zum Beispiel, eins der wichtigsten Finanzzentren der Welt, gehört nicht dazu. Deshalb muss die Gruppe sich erst einmal neu aufstellen. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt: Wir brauchen einen globalen Regulierer und wir werden ihn in fünf Jahren haben.

SPIEGEL ONLINE: Warum reichen nationale oder regionale Aufsichtsbehörden, die kooperieren, nicht aus?

FORUM
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Sollen die Banken verstaatlicht werden?

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75 Beiträge
Neuester: Heute 17:09 Uhr
von ralphc
Rogoff: Wir leben in einem globalen Finanzmarkt. Wenn die USA den Cowboy-Kapitalismus leben, in dem nichts reguliert ist, fließt alles Geld in die USA. Und der Rest der Welt trägt das Risiko mit. Das genau ist passiert. Nun werden zwar die USA ihre Märkte regulieren, aber vielleicht denkt sich jetzt ein anderes Land: Warum sollen dann nicht wir das ganze Kapital nehmen? Um das zu verhindern, brauchen wie globale Regeln.

Der zweite Punkt ist: Man muss einen zu starken politischen Einfluss auf die Aufsichtsbehörden verhindern. Auf dem Weg zu dieser Krise sind die existierenden Regulierer unter starken politischen Druck geraten, möglichst lax zu agieren. Obwohl viele sehr besorgt waren. Wenn man eine neue unabhängige Institution hätte, mit gewissen regulativen Kompetenzen, würde das helfen.

SPIEGEL ONLINE: Wäre es nicht einfacher, einer der bereits bestehenden internationalen Organisationen diese Aufgabe zu übertragen? Der IWF wird in diesem Zusammenhang oft genannt.

Rogoff: Die existierenden Institutionen sind schlicht nicht richtig aufgebaut für diese Aufgabe. Nicht einmal annähernd. Ich glaube deshalb, es wäre besser, eine neue Institution zu schaffen.

Das Interview führte Anne Seith

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